Vom Neumorschener Weinhaus und dörflichen Rathaus

Weinbau ist in unserer Heimat schon im 8. Jh. nachgewiesen. Doch ist der Fuldawein ein saurer Wein, "kratzet in der Kehle", urteilte nicht nur ein Landgraf.

Vom Werrawein bei Witzenhausen galt dasselbe boshafte Gerücht wie über den Morschener "Landwein"; er sei ein Dreimännerwein: einer mußte das Opfer festhalten, einer ihm eingießen. Und die Kinder würden abends aufgefordert: "Willst du ins Bette - oder Winn suffen?" Sie gingen dann artig zu Bett.

Nun, ganz so schlimm war es meist nicht, wenn auch die edlen Weine vom Main, Rhein, Baden und Elsaß hier beliebter, aber für die meisten Einwohner selten erschwinglich waren. Deshalb hatte man hier um beide Morschen am Frauenberg, Halberg usw. Weinberge, trieben die Nonnen Weinbau, und der Landgraf hatte sogar einen Weinmeister im stattlichsten Haus am Markt zu Neumorschen, das später zum Sitz des Gerichtsschulzen und Weinschänke zugleich und einem der seltenen dörflichen Rathäuser wurde.

Noch viel später wurde gespottet: "Im Lande zu Hessen hat's große Berg" und nichts zu essen, große Krüg' und sauren Wein, wer wollte gern im Lande zu Hessen sein?" Der Weinberg, den Georg Angersbach vor 30 J. (1950ger Jahre) in Böddiger anlegte, setzt die Tradition des einstigen, ab 13. Jh. systematisch bis in den 30jähr. Krieg hinein betriebenen Weinbaues fort. 1466 ist der Weinbau in Neumorschen beurkundet, wo die meisten Bewohner Weingärten hatten, ebenso die Altmorschener, Eubacher, das Kloster und vor allem der Fürst. Sein Weinmeister in N. war wichtiger Beamter. Die Neumorschener hatten das städtische Privileg, im Weinhaus Weinschank zu betreiben.

Ratskeller 2014

Das Weinhaus (Ratskeller) zu Neumorschen


Am Markt zu Neumorschen, über den einst die ,ÒLange-HessenÒ-Straße Frankfurt - Wichte - Morschen - Leipzig führte, stehen stattliche Fachwerkhäuser aus dem 17. und 18. Jh. ãin schöner Reihung, meist mit Giebel zur Straße und mit verzierten GesimsenÒ (Dehio). Weit und breit seit 100 Jahren als Gasthaus bekannt ist das Gasthaus Horn, dessen Besitzer Josef Priller leider vor einigen Jahren starb. Hier wurde am 17. Mai 1908 der Heimat- und Verkehrsverein gegründet. Wir bewundern die Fachwerkbauten, am meisten zweifellos den heutigen Ratskeller, das einstige Weinhaus der Gemeinde Neumorschen, die als Dorf manche städtische Privilegien, Marktrecht, Dorfmauer, Braurecht, Rathaus (= Weinhaus) u. a. hatte.

Das Weinhaus war aus Privatbesitz von der Gemeinde zurückgekauft und restauriert worden. Vor Jahren kam die Gemeindebücherei hier in den Sitzungssaal des Ratskellers zurück.

Das Gebäude steht auf einem hohen Fachwerksockel, der die geräumigen Gewölbe birgt. Eine Freitreppe führt zur Haustür im Hauptgeschoß. Kräftig erhebt sich darüber das Fachwerk des Obergeschosses, und den zweistöckigen Giebel krönt ein 6eckiger Dachreiter, dessen geschweifte Haube ein Wetterfähnchen schmückt. Das Gebäude stammt in heutiger Form aus dem 17. Jahrhundert, doch besteht kein Zweifel, dass seine Grundmauern einen weit älteren Vorgänger mindestens seit dem 14. Jh. trugen. Neumorschen war der Mittelpunkt des landgräflichen Weinbaues an der Fulda, der erst durch den 3Ojährigen Krieg beendet wurde. Auch unser Weinhaus war Eigentum des Fürsten. Die Gemeinde hatte lange das Privileg, steuerfrei eine Wein- und Branntweinschenke zu halten. Stets war dieses Wein- oder Gemeindehaus genannte Gebäude ein (seltenes!) dörfliches Rathaus und als solches der Sitz der Gerichtsschultheißen Òuff der FuldaÒ, zu dessen Bezirk alle 7 Ortsteile des heutigen Morschen, außerdem Heinebach und Beiseförth zählten. Jeweils auf 3 Jahre wurde das Weinhaus verpachtet, d. h. der Ausschank. Von den Einnahmen mußte später die Fuldabrücke unterhalten werden - was nie ausreichte! War wieder einma! an der Brücke Hochwasserschaden, dann registrierte man, ãdaß man mehr Schaden als Nutzen vom Weinhaus habeÒ. Hin und wieder begegnen wir auch der Bezeichnung ãRathausÒ. 1716 war folgender Zins vom Weinhaus zu entrichten: 8 Albus Geld, 4 Metzen Hafer, 1 Gans, 2 Hähne, 1 Huhn und für den Schank je Fuder Wein (= 960 l) 4 Gulden (fl.) Zins für Rheinwein und 2 fl. für heimischen Landwein. Derselbe Zins wurde auch je Ohm Branntwein entrichtet. 1 Ohm betrug 160 Liter, 6 Ohm also ein Fuder.

Die meisten Gerichtssitzungen und Bürgerversammlungen fanden hier statt. Den Raum mit den Fässern durften die beiden Weinzapfer nur gemeinsam betreten. 1466 wurde die Weinschenke bereits besucht, u. a. auch 1540, 1560 und 1579 wird das ãGemeinde-WeinhausÒ erwähnt. 1597 wurde die Gemeinde mit 20 Tal. Strafe belegt, weil kein Wein ausgeschenkt worden war: sicherlich eine hohe Buße für wohl verwässerten Wein! Hin und wieder lesen wir auch von Schlägereien in der Schenke. Von 1589 ist ein Bericht des Spangenberger Rentmeisters Murhard datiert, dem wir entnehmen, daß hier 90 hl Wein geerntet wurden und die 85 ãWinzerÒ ihren Landwein selbst behalten und nicht ausschenken wollten. 1614 wurde ein Prozeß geführt, weil die Herren Gemeindevertreter nach einer Sitzung noch eine weitere anschlossen - und dabei die Gemeindeurkunden gestohlen werden konnten; sie waren nicht verschlossen worden - vor 370 Jahren! Wir begegnen einer langen Reihe von ãWeinsiedenernÒ (Pächtern), darunter vielen Gerichtsschultheißen und Greben (Bürgermeister), unter ihnen Eubel, Ellenberger und Schmelz. 1891 kaufte Conrad Jungermann für 10270 Mark das Weinhaus, von ihm 1919 Georg Kersten. Als dieser 1956 starb, erreichte Bürgermeister Richard Horchler den Rückkauf durch die Gemeinde. Nach seiner Renovierung wurde das ãRathausÒ am 29.11.1958 eingeweiht und war ein Mittelpunkt der 700-Jahrfeier 1959. Der Ratskeller hatte seitdem viele Pächter.

Dezember 1984 wurde als Gemeindesaal der ãReesestallÒ um- und ausgebaut (an dem Ratskeller).

Marktstraße 2014