DR. BERNHARD CHRISTOPH FAUST

Pionier der medizinischen Volksaufklärung

Seit 1975 verleihen die Hessische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitserziehung (HAGE) und das Land Hessen an Personen, die sich um die Förderung von Gesundheit und Prävention in Hessen verdient gemacht haben, die Bernhard-Christoph-Faust Medaille.

Faust war einer der ersten Ärzte, die erkannten, wie wichtig die Aufklärung der Bevölkerung über gesunde Ernährung, Hygiene und Wohnverhältnisse für die Gesundheitsvorsorge ist. Die HAGE hat ihn in einem Heft als "eine der originellsten und kraftvollsten Persönlichkeiten um die Wende des 18. Jahrhunderts" bezeichnet. Mehr als ein halbes Jahrhundert wirkte er als Hofrat und Leibarzt am Fürstenhof Schaumburg-Lippe in Bückeburg. Hier fand er auch seine letzte Ruhestätte.  Die Stadt ehrte ihren berühmten Sohn anlässlich dessen 150. Todesjahres im Jahr 1992 mit einer Ausstellung. Der Inhalt des Ausstellungskatalogs (Irmtraut Sahmland: Bernhard Christoph Faust 1755-1842) ist wesentliche Grundlage dieses Beitrags. Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle, dass das segensreiche Wirken von Dr. Faust ganz offensichtlich stark geprägt wurde in seiner kurzen Zeit als Arzt in Altmorschen. Jahre später, in Bückeburg, notierte er „daß dieses Dorf seinem Herzen noch immer teuer sei.“ (Irmtraut Sahmland)



Faust in der Landgrafschaft Hessen-Cassel

Geboren wurde Bernhard Christoph Faust am 23.Mai 1755 als Zwilling in der Weingasse in Rotenburg a.d.F. Schon sein Urgroßvater war, ebenso wie sein Großvater, Physikus in Hersfeld. Sein Vater hatte diese Stelle seit 1744 in der Stadt und im Amt Rotenburg inne, die später um das Amt Spangenberg (hierzu zählte auch der Raum Morschen) erweitert wurde.

Die Weingasse in Rotenburg a.d.F. Eine Hinweistafel am Zaun der Baulücke verweist auf das Geburtshaus von Faust
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Faust besuchte das Carolinum in Cassel, studierte an der Universität Göttingen und promovierte 1777 in Rinteln an der Weser zum Doctor Medicinae. Seine medizinischen Studien ergänzte er in Kassel, wo er eine geburtshilfliche Ausbildung erhielt. Danach praktizierte er in seiner Geburtsstadt Rotenburg. Im Herbst 1785 zog er von dort nach Altmorschen, um hier als Landarzt tätig zu sein. Zu seiner Praxiseröffnung ließ er ein achtseitiges Faltblatt verteilen. Ein beeindruckendes Dokument seiner Berufsauffassung und seiner Einstellung zu seinen Mitmenschen. Seine Informationen begannen mit einem Zitat des römischen Dichters und Epikers Vergil

In dem Faltblatt stellte er sich als "gerechter, guter, rechtschaffener Mann" vor und bot seine Hilfe an. Zwar habe er selbst nicht viel, werde aber seinen Haushalt so einrichten, dass er wenig benötigen würde. Für seinen ärztlichen Rat und die selbst hergestellten Arzneien verlangte er nur ein bescheidenes Honorar. Den Armen bot er kostenlose Hilfe an. Hausbesuche werde er zu Fuß erledigen und nur in dringenden Fällen mit dem Pferde. Weiter als drei Stunden werde er aber nicht zu den Kranken gehen.
Vieles von dem, was sein späteres Wirken bestimmen sollte, manifestierte er schon auf diesen acht Seiten: Frische Luft, Reinlichkeit in den Wohnungen und bei der Körperpflege, sauberes kaltes Wasser, kein "heilloses Brandteweintrinken" und gesunde, nicht verdorbene, Nahrungsmittel waren für Faust wichtige Voraussetzungen  zur Vorbeugung von Erkrankungen und im Falle einer Erkrankung. Er bot Hebammenunterricht an, um die damals hohe Sterblichkeitsrate für Mütter und Kinder bei Geburten zu senken. Faust gab seinen "lieben Landleuten" Hinweise, wie erkrankte Kinder bei einer Pockenerkrankung zu behandeln sind und formulierte in seinem Faltblatt einen Fragenkatalog, um eine treffende Diagnose zu stellen, wenn er die Kranken nicht selbst untersuchen konnte. Falls "allgemein herrschende Krankheiten und Seuchen" auftreten, werde er die Bevölkerung informieren.
Seine Empfehlungen, durch Übertragen des "Blatterngiftes" von an Pocken erkrankten Kindern auf gesunde Kinder einen abgeschwächten Verlauf dieser Krankheit zu erreichen, erklären sich aus dem damaligen Wissen der Ärzte. Nur wenige Jahre später sollte sich ein anderer Weg zur Bekämpfung dieser oft tödlich verlaufenden Volksseuche erfolgreich durchsetzen.
Sein Faltblatt endete mit dem Absatz
In Altmorschen begegnete ihm der Alltag der Landbevölkerung in dieser Zeit täglich und hier machte er seine lebensprägenden Erfahrungen. In Veröffentlichungen schrieb er über Altmorschen: "Oft und viel bin ich in den Hütten des Volks, und an den Betten der Kranken gewesen, und ich habe gesehen die Armuth und das Elend des Volks. - Sie sind groß! groß in jedem Lande! - der Arme ist auch ein Mensch - ist unser Bruder – er arbeitet für uns." Und an anderer Stelle: "Wir Ärzte, sind wir gleich nicht unbekannt mit dem Elende, so kommen wir doch zu wenig auf das Land, wo 2/3 oder 3/4 der Menschen in gewöhnlich armseligen, ungelufteten, unreinlichen, ungesunden Wohnungen leben und mit vieler Geduld jedes Leiden ertragen: wir kommen in die wenigsten Hütten des Armuths und des Elends." Möglich, dass in Altmorschen auch Landgraf Wilhelm von Hessen-Cassel auf ihn aufmerksam wurde, denn die Landgrafenfamilie residierte in dieser Zeit öfter in ihrem Schloss Haydau. Sicher ist, dass Faust Kontakte zu dessen Vetter, dem Landgrafen Wilhelm von Philippsthal hatte und diesen um ein Empfehlungsschreiben für seine Bewerbung als Physikus in der Stadt und im Amt Vacha und den umlegenden Ämtern bat. Dieses Gebiet gehörte damals zur Landgrafschaft Hessen-Cassel. Der Philippsthaler Landgraf lobte den jungen Medicus in höchsten Tönen. Faust, sehr beliebt in der Bevölkerung, auch weil er bescheiden lebte, verließ nach knapp zwei Jahren Altmorschen, um im Jahr 1786 die Stelle in Vacha anzutreten. Doch auch hier wirkte er nur kurz. Faust wurde auch Leibarzt der landgräflichen Familie in Philippsthal. Prinzessin Juliane von Hessen-Philippsthal, die 1780 Philipp II. Ernst von Schaumburg-Lippe in Bückeberg geheiratet hatte, holte ihn 1788 in ihre neue Heimat und berief ihn zum Leibarzt und Gräflich Schaumburg-Lippischen Hofrat.

Faust am Fürstenhof Schaumburg-Lippe in Bückeburg

"Statt Hilfe in vielen Einzelfällen zu leisten, wird Faust nun zum Lehrer des Volks in Gesundheits- angelegenheiten auf einer quasi übergeordneten Ebene und mit einer ganz anderen Reichweite, die im Fall des Gesundheitskatechismus in viele europäische Länder hin ausstrahlt. Das schließt allerdings mit ein, daß er immer auch um die Umsetzung im engeren lokalen Umfeld bemüht ist." (Irmtraut Sahmland)

Dr. Faust bezog eine Etage im Kavaliershaus nahe dem Schloss und zählte nun mit einem Jahresgehalt von 400 Reichstalern zu den Spitzenverdienern der Bückeburger Bediensteten. Sein Engagement für die Verbesserung der Gesundheit breiter Schichten zeigte sich vor allem in seinen zahlreichen Veröffentlichungen und seinem praktischen Einsatz für die damaligen Volkskrankheiten.

Faust 1796 in Bückeburg

Im Jahr 1792 wurde der erste Entwurf seines "Gesundheits-Katechismus" aufgelegt, der in der maßgeblichen und mit Holzschnitten versehenen Fassung 1794 erschien. Dr. Faust wollte mit diesem Werk vor allem auch die nicht mit Reichtümern gesegnete Landbevölkerung erreichen. Dies bedingte, dass das Buch nicht viel kosten durfte und verständlich geschrieben sein musste. Hierbei setzte er auf die Erziehung der Kinder in den Schulen. Der Katechismus sollte ein Lehr- und Lesebuch werden. Und er wurde es. Mit der 8.Auflage im Jahr 1802 gingen im deutschen Sprachraum 150.000 Exemplare in den Verkauf. Eine für damalige Verhältnisse unvorstellbar hohe Zahl. Der Gesundheitskatechismus wurde vielfach übersetzt und verbreitete sich über fast ganz Europa. Ein Blick in die Inhaltsübersicht zeigt, worum es Dr. Faust vor allem geht: Im ersten Teil werden Fragen der Gesundheitsvorsorge (Hygiene, gesunde Ernährung, Kleidung der Kinder, Wohnverhältnisse, Bewegung und Ruhe) behandelt, im zweiten Teil die Krankheiten. Hier widmet er sich der häuslichen Krankenpflege, besonders aber den ansteckenden Krankheiten.


Faust wurde in Bückeburg zu einem entschiedenen Vorkämpfer für die Schutzimpfung gegen die Pocken. Insbesondere engagierte er sich für die Einführung der Kuhpockenimpfung, die sogenannte Vakzination. Ihm ist es zuzuschreiben, dass in Schaumburg-Lippe im Oktober 1808 die Impfpflicht verordnet wurde. Schon im April des gleichen Jahres war dies im vorübergehend besetzten und zum "Königreich Westphalen" gehörenden Kurhessen erfolgt, und noch davor im Großherzogthum Hessen-Darmstadt im Oktober 1807.

Ganz besonders lag ihm auch die Verbesserung der Geburtshilfe am Herzen. Er sorgte für eine bessere Ausbildung der Hebammen und entwickelte ein Geburtsbett zur Unterstützung der natürlichen Geburt. Seine Vorstellungen, wie Kinder heranwachsen sollen, reichen weit bis unsere Zeit hinein: Förderung des natürlichen Bewegungsdrangs, keine Gängelbänder und Laufstühle, gesundheitsgerechte Kleidung u.v.m. Hierzu veröffentlichte er seine Ratschläge.

Zur Linderung der Schmerzen und zur besseren Heilung von Brüchen entwickelte Faust für den Einsatz in der Chirurgie eine Beinbruch-Schwebe. Diese diente als Sondermodell auch für den Fronteinsatz in den napoleonischen Kriegen. Die Leiden verwundeter Soldaten hatte er bereits 1794 bei einem Besuch an der Front bei Arnheim erleben müssen. Jahrzehnte vor Gründung des Roten Kreuzes schrieb er an seinen in Kassel als Garnisons-Medicus tätigen Schwager Philipp Hunold, dass die Unantastbarkeit der Kriegslazarette durch internationalen Vertrag sichergestellt werden müsse.


Mit zunehmendem Alter beschäftigte Faust sich auch mit Fragen der Architektur. Die Wohnverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten im ländlichen Bereich hatte er in Altmorschen und sicher auch noch im Bückeburger Raum erlebt. Er entwarf lichtdurchflutete Wohnhäuser und gut durchgrünte neue Siedlungen mit unterirdischem Kanalsystem. Seine Vorschläge, wie durch bessere Besonnung, Belüftung und Bauweisen die Gesundheitsvorsorge entscheidend verbessert werden kann, gelten vom Grundsatz her heute noch. 1827 formuliert er in einem Brief an seinen Fürsten, es sei ihm ein dringendes Anliegen, "daß die Menschen in ihren Sonnenhäusern, massiv von Lehmsteinen erbaut, gesund, im Sommer kühl, im Winter warm und in Frieden wohnen; daß die Häuser der Menschen für Jahrhunderte dauerhaft, wohlfeil und leicht überall zu erbauen, recht und schön und den Menschen Freude, Zierde und Ehre, ein Tempel seyen; und daß Häuser und Städte nicht abbrennen."

Dr. Bernhard Christoph Faust starb nach kurzer Krankheit am 25. Januar 1842 im Alter von 86 Jahren in Bückeburg. Er blieb zeitlebens ledig.

Otto Wohlgemuth